Mehr als fünfzehn Jahre nach seinem Einzug in den damals neuen Berliner Dienstsitz des Auswärtigen Amts haben sich die Bestände des Politischen Archivs deutlich vermehrt. Der vorhandene Raum für Magazine ist gewaltig, allein die drei ehemaligen Tresore der Reichsbank, die das Gebäude in den zwanziger und dreißiger Jahren errichtet hatte, umfassen zusammen rund 5.500 qm! Dennoch ist angesichts des beständigen Zuwachses aus den Registraturen des Auswärtigen Amts und der Auslandsvertretungen sowie des Ausbaus der Sammlungen Kreativität im Umgang mit der Lagerkapazität gefragt.
Ein wenig Luft verschafft der Einbau von Rollregalanlagen anstelle der ursprünglichen festen Regale. Der Aufwand für den Umbau bei „laufendem Betrieb“ und Kosten sind jedoch erheblich, so dass diese Lösung nur für begrenzte Abschnitte der Magazine in Frage kommt. Dazu, dass das Politische Archiv nicht in den jährlichen Neuzugängen ertrinkt, trägt vor allem die regelmäßige Bewertung der Bestände im Abstand von etwa 30 Jahren zum Abschluss der Akten bei. Sie erfolgt wegen des Mehraugenprinzips in Dreiergruppen von Archivaren. Ein Vorbereitungsteam legt für die anstehenden Bestandsgruppen Bewertungs- und Kassationsgrundsätze fest. Mit der Bewertung verbindet sich eine Erfassung in der Verzeichnungssoftware „Augias“, mit der das Politische Archiv derzeit arbeitet; natürlich nur soweit als bisherige Findmittel nur in analoger Form vorliegen.
Derzeit widmen sich die Bewertungsgruppen der Überlieferung aus den einzelnen Referaten der Wirtschaftsabteilung des Auswärtigen Amts. Wichtig ist die Beachtung und Abgrenzung der Kompetenzen zum Bundesministerium für Wirtschaft, das für die operative Außenhandelspolitik zuständig ist, während das Auswärtige Amt in diesem Bereich vor allem die Rolle eines Mittlers und Koordinators wahrnimmt. Auch der Abschluss von Handelsverträgen gehört in seinen Zuständigkeitsbereich. Grundsätzliche Ziele sind: Positivauslese zum Nachweis von Entscheidungen des Auswärtigen Amts – Vermeidung redundanter Überlieferung durch gleichzeitige Betrachtung aller Bestände („horizontal integriert“) – Beschränkung der Aktenautopsie auf das unvermeidliche Maß.
Letzteres wird erreicht, indem eine erste Bewertungswelle anhand der vorhandenen Verzeichnisse (größtenteils Abgabelisten aus den Registraturen) über die Kassation offensichtlich nicht dauerwertiger Unterlagen entscheidet. Fragen der Federführung spielen dabei eine wichtige Rolle. Alle anderen Akten werden dann in einem zweiten Durchgang vom Bewertungsteam in Augenschein genommen, einzeln bewertet und im selben Arbeitsgang erschlossen.
Bei der Bewertung der Akten des für die Exportförderung zuständigen Grundsatzreferats der Wirtschaftsabteilung kam ein schönes Fundstück zutage.
Dieses Referat nahm auch einer Frage an, von der man es zunächst wohl nicht vermuten würde: Welche Weine werden von den deutschen Auslandsvertretungen bei Veranstaltungen im Rahmen der Pflege ihrer Kontakte im Ausland ausgeschenkt?
Sicher entspricht das einem verbreiteten Klischee, demzufolge das Leben der Diplomaten aus einer ununterbrochenen Folge von Empfängen besteht, aber tatsächlich spielt auf den Auslandsposten die Kontaktpflege mit Vertretern des Gastlandes eine wichtige Rolle. Diese Aufgabe mit den Belangen der Exportförderung in Einklang zu bringen, erwies sich offenbar nicht immer als ganz einfach. Das Landwirtschaftsministerium wurde deshalb immer wieder beim Auswärtigen Amt vorstellig. Die Bonner Zentrale gab dann Weisung an die deutschen Botschaften und Konsulate, tunlichst nur deutsche Erzeugnisse aufzutischen und auszuschenken.
Nicht dem Wortlaut, aber der Sache nach ging es bei den deutschen Spezialitäten, für die geworben werden sollte, in erster Linie um Wein. Das zeigen die zahlreichen Berichte der Auslandsvertretungen über die Umsetzung der Weisung, die offenbar nicht immer ganz leicht war. Deshalb sprach man allgemein vom „Weinerlass“ .
Viele Berichte betonen zwar, dass deutsche Getränke ausgeschenkt wurden, auch gab es natürlich eigene Marketingveranstaltungen für deutsche Produkte. („… So konnte der Unterzeichnete die Erfahrung machen, daß sehr oft deutscher Sekt dem französischen Champagner in heißen Ländern vorgezogen wird, da er leichter und bekömmlicher ist.“)
Doch es ist auch von Problemen die Rede: Sei es, dass deutsche Getränke nicht oder nur mit großem Aufwand im Gastland zu beschaffen waren, oder dass sie dem dortigen Geschmack schlicht nicht entsprachen. Rotwein, in vielen Ländern beliebter als weißer, gehörte lange Zeit nicht unbedingt zu den Stärken deutscher Winzer. Mehrfach wird auch beklagt, dass es die deutschen Produzenten hinsichtlich der Intensität der Werbemaßnahmen im Ausland nicht mit ihren Konkurrenten aus Frankreich oder Italien aufnehmen konnten.
Die Archivalienpräsentation ist in anderer Form auch auf der Website des Politischen Archivs online.
Herbert Karbach