Aufgrund einer wechselvollen Bestandsgeschichte[1] befinden sich im Domarchiv Berlin –Archiv der Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin – auch Unterlagen bislang unbekannter Provenienz. Im Zuge der Erschließung war u.a. die Herkunft eines privaten Journals über Einnahmen und Ausgaben zu bestimmen, bei dem lediglich die Laufzeit 1841-1847 eindeutig ermittelbar war. Würde sich der Berliner Dom oder ein anderer Registraturbildner als Provenienz nachweisen lassen?
In dem aus 90 Blatt bestehenden, in deutscher Sprache verfassten Journal befanden sich – chronologisch fortlaufend – einzelne Positionen über Ausgaben und Einnahmen mit dem jeweiligen Betrag. Seinen eigenen Namen hatte der Autor leider nicht hinterlassen und zunächst schien es, als würde er auch nie identifiziert werden können. Nach erstem Einlesen fanden sich zunächst kuriose Einträge, wie „…im Spiel gewonnen…für den Kutscher…ein Theaterbillet…in der Klubbe verzehrt…Der Ball im Actienhause…“ [Bl.2], die einen vermögenden, vielreisenden Autor vermuten ließen. Stutzig machten einzelne Währungs- (Rubel) und Maßangaben (Pud) sowie wenige Worte in kyrillischen Buchstaben (Petruschka) sowie Ortsangaben (Reval, Helsingfors, Catharinenthal, Jeglecht, Jendel, Petersbourg, Dorpat, Wesenberg, Münckenhof, Loewenwolde, Weggema), die eine Lokalisierung des Autors im Baltikum, genauer in Estland nahelegten.
Wiederkehrende Positionen, wie „Meiner guten Frau…meiner Schwester Marie……meiner guten Schwester Sophie…meinem Neffen Constantin…meinem Neffen André…Constantin u. André Baranof…“ deuteten einen familiären Kontext an, der erst durch den Eintrag „…meinem Schwager Lilienfeld…“ [Bl.89] und der Kombination der bisher gewonnenen Erkenntnisse die genaue Identifizierung des Autors gestatten.
Tatsächlich existierte ein Gutsbesitzer Otto von Lilienfeld (1805-1896)[2], späterer Präsident des estländischen evangelisch-lutherischen Konsistoriums, der mit Marie, geb. von Benckendorff verheiratet war. Deren Schwester Sophie[3] wiederrum war die Ehefrau von Carl Friedrich von Baranoff und Mutter von Konstantin und Andreas von Baranoff. Laut den Angaben des Journals musste der Autor also der Bruder von Sophie und Marie sein. Als deren Vater ließ sich Paul Friedrich von Benckendorff[4], Besitzer von Löwenwolde, Warrung und Jendel in Estland, ausfindig machen, aus dessen Ehe fünf Kinder hervorgingen, darunter drei Söhne. Alles deutet darauf hin, dass es sich bei dem Urheber des Journals um Gustav Hermann Christoph von Benckendorff (1815-1883)[5] handelt, der als ältester Sohn nach dem Tod seines Vaters 1841 wahrscheinlich dessen Güter übernahm. Dafür spricht, dass Gustav bereits 1840 seinen Dienst im russischen Militär quittierte, vermutlich um sich nun der Bewirtschaftung der väterlichen, später eigenen Güter zu widmen. Die Anlage von Aufzeichnungen zu „Soll und Haben“ konnte da nur von Vorteil sein.[6]
Ist nun einmal die Provenienz „Gustav Hermann Christoph von Benckendorff“ festgestellt, bleibt am Schluss die Frage, in welches Archiv das Journal sinnvoller Weise abzugeben sei. Denn ein Zusammenhang mit dem Berliner Dom ist nach wie vor nicht erkennbar. Forscher würden die Quelle sicher nicht im Domarchiv Berlin vermuten. Gibt es also in einem anderen Archiv einen (Teil-) Nachlass von Benckendorff, der damit eine Ergänzung erhalten würde? Existiert eine Überlieferung der o.g. Güter? In Deutschland? In Estland?
Yves A. Pillep
[1] Vgl. Pillep, Yves A., Die „archivischen Ausgrabungen“: Der Berliner Dom im Spiegel seiner Archivalien; in: Acta Praehistorica et Archaeologica Bd.47, Berlin 2015, S.191ff.; Schroll, Heike, Spurensicherung. Die Bestände des Stadtarchivs Berlin und ihr Schicksal durch den Zweiten Weltkrieg, Berlin 2000.
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_von_Lilienfeld; Stand: 03.02.2016.
[3] Die folgenden Angaben stammen aus verschiedenen genealogischen Internetressourcen.
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Friedrich_von_Benckendorff; Stand: 03.02.2016.
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Hermann_Christoph_von_Benckendorff; Stand: 03.02.2016.
[6] Nebenbei sei bemerkt, dass alle Angaben selbstredend durch Quellenstudium belegt werden müssten. Für die Provenienzbestimmung jedoch reichen sie allemal aus.